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    HILDA | Nachruf | Zwerg Nase

     

    "Wissen Sie was, Herr Doktor", sagte Oma Hilda, "ich habe Alzheimer".

    "Wie kommen Sie darauf, Frau H.?"

    "Heute morgen, beim Kreuzworträtsel, da ist mir die Hauptstadt von Peru nicht mehr eingefallen."

    Zwanzig Minuten später schwang sie sich schimpfend aufs Rad und fuhr nach Hause: unzufrieden und unverstanden. Mit 90 weiß man doch ganz genau, wie sich die ersten Alzheimer-Zeichen anfühlen.

     

    Ausgerechnet nach Lima, der Hauptstadt von Peru (vier Buchstaben, sieben Millionen Einwohner) war Oma Hildas jüngster Enkel ausgewandert. Der Ältere zog nach Bulgarien.

    "Warum sind die Kinder so weit weg gegangen", sagte mal ihre Tochter. "Ich liebe sie doch so sehr".

    "Liebe kann manchmal erdrückend sein", erwiderte Oma Hilda und nippte weiter an ihrem Ostfriesentee.

     

    In Wirklichkeit glaubte sie nur bedingt an die Leidenschaft: Nichts ungewöhnliches für viele Frauen ihrer Generation, welche einen herben Cocktail aus Krieg, Liebe und Tod vorgesetzt bekamen. Es muss so gegen halb Zwei nachmittags gewesen sein, fünf Tage nach ihrer Verlobung, als sie die Nachricht bekam, sie sei fortan mit einer Leiche liiert. Es folgte eine karge Kompromiss-Heirat mit einem quick-lebendigen Bekannten und eine radikale Kompromisslosigkeit, welche man leicht mit Herzlosigkeit verwechseln konnte. Alle Wahrheiten sind paradox, wie der Leo Graf Tolstoi sagte, kannte er sich doch gut mit Krieg und Liebe aus.

     

    Als ich Oma Hilda kennenlernte, war sie fast 90 und strahlte eine warme Altersmilde aus. Sie löste morgens Kreuzworträtseln, besuchte mittags andere Omas, puzzelte abends. Jede Mahlzeit plante sie mit dem strategischen Verstand eines Generals, der sein Körper gegen eine unsichtbare Armee an Krankheiten verteidigen soll. Jedes Radieschen, jede Scheibe Schwarzbrot, jeder kleine Leinsamen im Müsli listete sie auf und schickte dann die Listen zusammen mit Zeitungsauschnitten an ihren Enkeln und mich. Eine skurille Presseschau: "Das könnte euch ja interessieren".  An einen Ausschnitt erinnere ich mich deutlich. Eine kurze Notiz über einen Gospel-Konzert in Bremen. "Gospel mag ich nicht", schreib sie kommentierend am Rande. "Und auch Dudelsack".

     

    Ich hätte schwören können, dass Oma Hilda mindestens 100 wird. Ihr Vater sei erst mit 99 ½ gestorben. In einem Brief schrieb sie mir, wie er im Winter seine nassen Wollsocken vor dem weißen Kachelofen sorgsam zum Trocknen auslegte und sie ermahnte, das Leben sei zu kurz. Recht hat er irgendwie behalten, denn 92 ist eine kurze, unrunde Zahl. Oma Hilda starb letzte Woche mit 92 im Krankenhaus. Und da sie protestantisch pragmatisch veranlagt war, hatte sie schon alles zu Lebzeiten geregelt: Eine anonyme Bestattung sollte es sein, ohne Trauerfeier. Das muss man erstmal schlucken. Und akzeptieren. Dafür aber muss sie zumindest diesen Nachruf gestatten. Möge sie in Liebe und Frieden ruhen und sich immer an die Hauptstadt Perus erinnern.

     

     

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